Biologische Wirkung geringpegeliger tieffrequenter Schalle aus technischen Quellen
Erläuterungen zu ausgewählten pathophysiologischen Prozessen, die als Folge wiederholter Belastung mit anthropogenem IS/LFN regelmäßig im heutigen Wohnumfeld zu beobachten sind
1.0 Hintergrund
Technische Anlagen, die bedingt durch ihr Konstruktionsprinzip, regelmäßig oder andauernd Schalle mit tieffrequenten Anteilen abgeben, können bei Anwohnern nicht selten ein spezifisches Cluster an gesundheitlichen Störungen hervorrufen, auch wenn die von der Anlage ausgehenden Emissionen nach A-bewerteten Pegeln prospektiv keine Probleme erwarten ließen und auch die für die Situation anzuwendenden Grenzwerte eingehalten wurden.
Die Erkenntnis, dass Schall tiefer Frequenzen (engl.: low frequency noise = LFN) unter ca. 20-30Hz vom Menschen nicht nur anders wahrgenommen wird als Schall höherer Frequenzen und dass durch Schalle mit Anteilen tiefer Frequenzen bei den exponierten Personen auch ein umfassendes, gleichzeitig auch spezifisches Symptomcluster nicht-trivialer Gesundheitstörungen ausgebildet wird, das sich von dem allgemeiner Stressreaktionen eindeutig abgrenzen lässt, ist an sich nicht neu.
Diese Problematik ist in der Arbeitsmedizin seit Mitte des 20. Jh. bekannt. Neu ist lediglich, dass diese Fälle heute vermehrt in „ruhigen“ Wohngebieten auftreten, während sie früher nur an Arbeitsplätzen in der Industrie und im Transportwesen und zeitweilig (1960er-1980er Jahre) auch in zwangsbelüfteten (Großraum-)Büros zu beobachten waren. In letzterem Fall wurden die Symptome als Teilmenge des SBS (sick building syndrome = gebäudebezogene Erkrankung) eingestuft.
Da die Symptome aber offenbar nicht nur von Schallwellen, sondern auch von vibratorischer Anregung (Körperschall) gleicher Frequenz hervorgerufen wurden, bzw. die Belastungen häufig sowohl eine luftgetragene (z.B. Sekundärschall) als auch eine vibratorische Komponente aufweisen, wurde im Ausland der Begriff der „vibroakustischen Erkrankung“ (vibroakustisch = vibratorische und akustische Elemente beinhaltend) für die mit längerer Belastung fortschreitende Erkrankung geprägt (Englisch: vibro-acoustic disease = VAD). VAD ist definiert durch ein spezifisches Cluster zentraler neurologischer Effekte und histologischer Veränderungen in verschiedenen inneren Organen.
In der internationalen Literatur zur Arbeits- und Umweltmedizin bleibt der Begriff nach wie vor gebräuchlich, hat aber in Deutschland erst in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit umweltmedizinischen Fragestellungen Eingang in den Sprachgebrauch gefunden. VAD wird nach Schweregrad in 3 klinische Phasen unterschieden (I-III), wobei bei Quellen im Wohnumfeld selten Schweregrad II überschritten wird. Quantitative Aussagen sind hierzu noch schwierig, da breit angelegte epidemiologische Untersuchungen in der allgemeinen Bevölkerung noch ausstehen.
2.0 Wahrnehmung tieffrequenten Schalls
Bezüglich einer Wahrnehmung tiefer Frequenzen ist bekannt, dass tiefe Frequenzen, wie sie z.B. von den Ventilatoren einer Wärmepumpe erreicht werden können (16-24Hz) auch bei moderaten Schalldrücken als Vibration von Gegenständen wahrgenommen werden kann, obwohl die Objekte in Ruhe sind. Gleichzeitig ist hervorzuheben, dass eine Belastung mit Vibration die Detektierbarkeit tiefer Töne moderiert (beeinflusst) und umgekehrt eine Exposition mit tieffrequentem Luftschall die taktile Wahrnehmbarkeit von Vibrationen beeinflusst (arbeitsmedizinische Literatur Japan, 1980er). In der Praxis lässt sich beobachten, dass tieffrequenter luftübertragener Schall meist auch mit Körperschall gleicher Frequenz anzutreffen ist – genauso wie Vibrationen oft zur Abstrahlung von Sekundärschall führt. Damit verlieren aus wissenschaftlicher Sicht die den heutigen Regelungen zugrundeliegenden Daten zu einer Hör- oder Wahrnehmbarkeit tieffrequenter Schalle in Realsituationen häufig ihre Anwendbarkeit.
Vorschläge zur Schaffung einer Norm, die heutige Wissensstände besser berücksichtigt und tieffrequenten Schall gemeinsam mit vibratorischer Belastung betrachtet, wurden bislang von den zuständigen Gremien nicht aufgegriffen.
Zwischen den späten 1950er und den 80er Jahren verdichteten sich erstmalig Hinweise, dass die gesundheitlichen Wirkungen tieffrequenten Schalls nicht auf das Ohr und die Hörfähigkeit beschränkt waren. Störungen des Herz-Kreislaufsystems und des Zentralnervensystems wurden identifiziert. Allerdings stammten die meisten der damaligen Autoren aus einem technischen Umfeld und klassifizierten in ihren Veröffentlichungen die beobachteten Effekte nicht immer in einer Art und Weise wie wir es heute tun würden. So wurden viele rein neurologische Effekte von IS/LFN-Exposition fälschlicherweise als „psychologisch“ bezeichnet, was in manchen Lehrbüchern bis heute noch nicht korrigiert wurde und auch in aktuellen Gutachten noch zu ziemlich grundsätzlichen Fehleinschätzungen hinsichtlich Ursache und Wirkungen beim Gesamtbild IS/LFN-induzierter Gesundheits- und Wahrnehmungseffekte führen kann. Vor allem ZNS-Effekte werden oftmals nicht identifiziert und dadurch das Schädigungspotenzial auch geringer, aber permanent anstehender Belastungen häufig nicht adäquat bewertet.
Zwischen den späten 1950er und den 80er Jahren verdichteten sich erstmalig Hinweise, dass die gesundheitlichen Wirkungen tieffrequenten Schalls nicht auf das Ohr und die Hörfähigkeit beschränkt waren. Störungen des Herz-Kreislaufsystems und des Zentralnervensystems wurden identifiziert. Allerdings stammten die meisten der damaligen Autoren aus einem technischen Umfeld und klassifizierten in ihren Veröffentlichungen die beobachteten Effekte nicht immer in einer Art und Weise wie wir es heute tun würden. So wurden viele rein neurologische Effekte von IS/LFN-Exposition fälschlicherweise als „psychologisch“ bezeichnet, was in manchen Lehrbüchern bis heute noch nicht korrigiert wurde und auch in aktuellen Gutachten noch zu ziemlich grundsätzlichen Fehleinschätzungen hinsichtlich Ursache und Wirkungen beim Gesamtbild IS/LFN-induzierter Gesundheits- und Wahrnehmungseffekte führen kann. Vor allem ZNS-Effekte werden oftmals nicht identifiziert und dadurch das Schädigungspotenzial auch geringer, aber permanent anstehender Belastungen häufig nicht adäquat bewertet.
Als Infraschall (infra = jenseits) wird gemeinhin Schall mit einer Frequenz unter ca. 20Hz bezeichnet. Der Zusatz „Infra“ soll kenntlich machen, dass es sich um Schall „jenseits“ einer auditiven Wahrnehmung handelt. Da aber dank neuerer Forschung deutlich wurde, dass ein Großteil der Menschen weit tiefere Frequenzen wahrnehmen kann (abhängig von Pegel und Expositionsdauer) und biologische Effekte zwischen unter 1Hz und ca. 60Hz zu beobachten sind sowie sich zunehmend die Erkenntnis durchsetzt, dass zwischen Hörbarkeit und biologischer Wirksamkeit gerade bei tiefen Frequenzen kein Zusammenhang besteht, wird in diesem Dokument auf eine Trennung zwischen IS und LFN kein besonderer Wert gelegt.
3.0 Bekannte Quellen von IS und LFN im Wohnumfeld
Die Quellen, die in der Literatur zur Arbeitsmedizin klassischerweise als Hauptverursacher LFN-induzierter Erkrankungen beim Menschen genannt werden, beinhalten: Kompressoren, Pumpen, Rüttelsiebe, Shaker (Rüttelstände), Feuerungsanlagen, Auspuff-, Strömungs- und Abrollgeräusche bei Fahrzeugen, Pressen/Stanzen, Transformatoren, Turbinen, Kolbenmotoren und Ventilatoren von Lüftungen und Wärmetauschern.
Waren diese als problematisch bekannten Quellen und ihre Emissionen von LFN und Körperschall (Vibration) in der Vergangenheit meist auf das Umfeld industrieller Anlagen beschränkt, so sind sie jetzt in zunehmender Zahl im Wohnumfeld anzutreffen – und mit ihnen die für diese Noxen hinlänglich bekannten gesundheitlichen Auswirkungen. Die Kolbenmotoren laufen kontinuierlich in Blockheizkraftwerken (BHKW) und Biogasanlagen, die langsam laufenden Ventilatoren (hoher Anteil an LFN) arbeiten in Lüftungsanlagen, Wärmetauschern von Supermärkten und Kühlhäusern und in Luft-Wasser-Wärmepumpen an öffentlichen Gebäuden und Privathäusern.
4.0 Schlafstörungen als typische Folge von IS/LFN-Belastung von Wohnraum
Zwar fallen die Pegel tieffrequenter Schalle im Wohnumfeld meist niedriger aus als an Arbeitsplätzen in der Industrie, dafür wirken sie aber nicht nur 7,5 Stunden lang – unterbrochen von Pausen und Wochenenden – sondern meist andauernd, oft 24h/Tag und vor allem auch nachts und entfalten so nicht nur ihr bereits bekanntes Stör- und Schädigungspotenzial, sondern wirken zusätzlich negativ auf Schlaf und Regeneration. Gestörter Schlaf ist eine epidemiologisch belegte, spezifische Wirkung tieffrequenter Schallbelastungen. Die Folge ist – oft schon nach einer Exposition von wenigen Tagen – die sogenannte akute Insomnie. Diese primäre Schlafstörung stellt ein anerkanntes Krankheitsgeschehen dar und kann für die Betroffenen sehr weitreichende Folgen haben.
Aber auch schallinduzierte Veränderungen der Schlafarchitektur, die nicht von vollständigem Aufwachen gekennzeichnet sind, sind für geringpegelige IS/LFN-Einträge in den Wohnraum belegt und mit nicht-trivialen Auswirkungen auf die Gesundheit verbunden.
Zu den bekannten Folgen von (extern induziertem) Schlafmangel gehören unmittelbar eintretende Effekte wie Verminderung der Konzentration und Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz, die Chronifizierung der Schlafstörungen, die schnelle Ausbildung von Depressionen und Angststörungen, das Risiko von Medikamenten- und Substanzmissbrauch und ein erhöhtes Unfallrisiko. Als langfristige Folgen verminderter Schlaftiefe, bzw. von Schlafmangel und einem dadurch erhöhten Cortisolspiegel sind unter anderem eine Verminderung der Hirnleistung (Verringerung synaptischer Plastizität des Hippocampus), eine erhöhte Neigung zu Entzündungen und Infekten, Bluthochdruck, eine Neigung zu Übergewicht und ein erhöhtes Diabetesrisiko vielfach belegt.
Aber auch schallinduzierte Veränderungen der Schlafarchitektur, die nicht von vollständigem Aufwachen gekennzeichnet sind, sind für geringpegelige IS/LFN-Einträge in den Wohnraum belegt und mit nicht-trivialen Auswirkungen auf die Gesundheit verbunden.
Zu den bekannten Folgen von (extern induziertem) Schlafmangel gehören unmittelbar eintretende Effekte wie Verminderung der Konzentration und Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz, die Chronifizierung der Schlafstörungen, die schnelle Ausbildung von Depressionen und Angststörungen, das Risiko von Medikamenten- und Substanzmissbrauch und ein erhöhtes Unfallrisiko. Als langfristige Folgen verminderter Schlaftiefe, bzw. von Schlafmangel und einem dadurch erhöhten Cortisolspiegel sind unter anderem eine Verminderung der Hirnleistung (Verringerung synaptischer Plastizität des Hippocampus), eine erhöhte Neigung zu Entzündungen und Infekten, Bluthochdruck, eine Neigung zu Übergewicht und ein erhöhtes Diabetesrisiko vielfach belegt.
Neben offensichtlichen Stressreaktionen und Effekten herrührend aus akustischer Stimulation der Gleichgewichtsorgane (Kinetose, Sopite Syndrome, kardiovaskuläre Störungen) und Störungen des Zentralnervensystems dürften die Folgen von Schlafstörungen einen wesentlichen Anteil an den Befindensstörungen haben, wie sie bei IS/LFN-emittierenden Anlagen im Wohnumfeld häufig auftreten. Ein verminderter nächtlicher Abbau des Stresshormons Cortisol als spezifische Wirkung von Schallbelastungen mit tieffrequenten Anteilen wurde für den Menschen schon vor geraumer Zeit belegt.
5.0 Besonderheiten der biologischen Wirksamkeit anthropogener Schalle
Stellt man sich jetzt die Frage, warum tieffrequenter Schall und seine Teilmenge Infraschall (IS) (= LFN <20Hz) aus natürlichen Quellen, wie z.B. Brandung und Windgeräuschen, offenbar keine oder nur geringe gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen hat, dafür aber offenbar jener aus technischen Quellen, so hilft ein Blick auf die vorangegangene Aufzählung der häufig anzutreffenden anthropogenen Quellen und die von ihnen abgegebenen Signalformen weiter.
Die Betrachtung von Schall als Signal und damit als akustischer Reiz mit einer charakteristischen Signatur in der Zeit- und Frequenzdomäne erlaubt eine Differenzierung von Schallquellen anhand der von ihnen beeinflussten physiologischen Wirkmechanismen. Dieser Ansatz entspricht dem heutigen Stand des Wissens zu den Stör- und Schädigungswirkungen von Schallbelastungen und ist so jenen Methoden überlegen, die Schall lediglich als eine Energieform auffassen und versuchen, durch Summenbildung und Mittelwerte komplexe Belastungen in einfache Zahlenwerte zu überführen. Durch den prinzipbedingten Informationsverlust dieser veralteten Verfahren sind diese zwangsläufig nicht zum Nachweis von Wirkzusammenhängen geeignet und können so auch nicht zum Erkenntnisgewinn bei Fragestellungen in der Lärmwirkungsforschung dienen.
Wendet man jedoch die moderne, differenzierende Betrachtung auf die Gesamtheit üblicher Schallquellen im tieffrequenten Bereich an, so zeigt sich folgendes:
Natürlicher Infraschall (und LFN)
- a) ist temporär vorhanden / intermittierend
- b) zeigt ein stochastisches (zufälliges) Signal in der Zeit- und Frequenzdomäne
- c) weist keine schmalbandigen Peaks oder steilflankigen Abrisse in seinem Spektrum auf
- d) ist frei von frequenzstabilen, tonalen Komponenten
- e) hat keine periodischen / periodisch impulshaften Komponenten
- f) weist hohe Pegel nur temporär auf
- g) hat einen räumlich begrenzten Wirkbereich
„Natürlicher“ Infraschall war in der Entwicklungsgeschichte des Menschen schon immer vorhanden. Dabei wurden Orte permanent hoher Pegel (Pegel = Lautstärke, z.B. Wasserfälle) bei der Besiedlung gemieden. Es hat daher eine genetische Anpassung (Adaption) an diese Formen von IS stattgefunden, die den Menschen im Normalfall vor negativen Auswirkungen schützt.
Technischer (anthropogener) Infraschall (und LFN)
- a) ist typischerweise permanent / unterbrechungsfrei
- b) ist durch eine spezifische Signatur (Kurvenform) über Zeitverlauf und Frequenz gekennzeichnet
- c) weist, bedingt durch die mechanischen Prinzipien seiner Konstruktion, häufig frequenzstabile tonale Komponenten auf
- d) zeigt durch rotierende Massen und sich wiederholende Abläufe periodische Signale oder periodische, impulshafte Signalen
- e) kann über lange* Zeiträume hohe Pegel aufweisen (*im Sinne einer biolog. Wirksamkeit)
- f) hat durch die überregionale Verbreitung IS/LFN-emittierender Technologien nahezu unbegrenzte räumliche Wirkbereiche
Anders als natürlicher Infraschall verfügt damit der anthropogene Infraschall in den meisten Fällen über klar definierte, spezifische Eigenschaften mit physiologischer als auch pathologischer Relevanz, die auf allen Stufen der Verarbeitung, von der Topologie der Cochlea, dem hydrodynamischen System des Innenohrs, der Funktion der Haarzellen, der Weiterleitung akustischer Reize und deren zentraler Verarbeitung eine Wirkung zeigen, die sich vom IS natürlicher Quellen signifikant unterscheidet.
Anthropogener Infraschall (und LFN) ist evolutionsbiologisch gesehen eine „neue“ Noxe. Der Mensch als Spezies hatte bisher noch keine Möglichkeit sich in den wenigen Generationen seit seinem Auftreten an diese Form der Belastung anzupassen.
Was vordergründig willkürlich oder gar esoterisch erscheinen mag, ist eigentlich nur die Folge einer häufig anzutreffenden sprachlichen Vereinfachung und aus Sicht der Lärmwirkungsforschung unzulässigen Gleichsetzung unterschiedlichster Stimuli durch den Begriff „Infraschall“, der eigentlich keinerlei Differenzierung hinsichtlich der physiologisch wirksamen Aspekte eines Schallsignals erlaubt. Beispielsweise sind wir da beim Licht schon etwas präziser: UV-A, UV-B, UV-C und UV-V ist immerhin eine grobe Unterteilung nach Wellenlänge, die mit biologischer Wirksamkeit verknüpfbar ist. Wo es erforderlich ist, kann das Licht noch weiter beschrieben werden: Physiker geben die genaue Wellenlänge, Amplitude, Polarisationsebene und Phasenlage an, wenn es für einen Effekt Relevanz hat.
Anthropogener Infraschall (und LFN) ist evolutionsbiologisch gesehen eine „neue“ Noxe. Der Mensch als Spezies hatte bisher noch keine Möglichkeit sich in den wenigen Generationen seit seinem Auftreten an diese Form der Belastung anzupassen.
Was vordergründig willkürlich oder gar esoterisch erscheinen mag, ist eigentlich nur die Folge einer häufig anzutreffenden sprachlichen Vereinfachung und aus Sicht der Lärmwirkungsforschung unzulässigen Gleichsetzung unterschiedlichster Stimuli durch den Begriff „Infraschall“, der eigentlich keinerlei Differenzierung hinsichtlich der physiologisch wirksamen Aspekte eines Schallsignals erlaubt. Beispielsweise sind wir da beim Licht schon etwas präziser: UV-A, UV-B, UV-C und UV-V ist immerhin eine grobe Unterteilung nach Wellenlänge, die mit biologischer Wirksamkeit verknüpfbar ist. Wo es erforderlich ist, kann das Licht noch weiter beschrieben werden: Physiker geben die genaue Wellenlänge, Amplitude, Polarisationsebene und Phasenlage an, wenn es für einen Effekt Relevanz hat.
Hier hat die Lärmwirkungsforschung noch sehr deutliche Defizite gegenüber z.B. dem Stand der Otoneurologie, die bei den physiologischen Schallwirkungen tieffrequenter Schall- und Vibrationsreize Frequenzzahlen inzwischen in 1/10 Hz Auflösung angibt. Die Verwendung von sog. Terzbändern (engl.: 1/3 octave bands) zur Zusammenfassung von Frequenzen ist also aus der Perspektive neurologischer Schallwirkungen ein Anachronismus – insbesondere bei tiefen Frequenzen, die, anders als mittlere und hohe Frequenzen, nicht nur tonotopisch verarbeitet werden (Tonotopie = Verortung eines Reizes im Hörzentrum), sondern zu frequenzsynchronen Aktivierungen in verschiedenen Hirnarealen führen – auch in solchen, die durch Synchronisationsneigung eine höhere Beeinflussbarkeit durch externe Stimuli aufweisen.
Bei der also immer noch einfachen Unterscheidung in „technischen“ und „natürlichen“ Infraschall sollte man sich daher auch besser von den genauen physikalischen Eigenschaften des Signals und weniger der Art der Quelle leiten lassen: Während das System Straße-Auto sicher technischer / künstlicher Natur ist, so ist der Mechanismus der Schallerzeugung durch ein offenes Fenster und den Fahrtwind ein klassisches chaotisches System, das während unterschiedlicher Phasen der Fahrt (Geschwindigkeiten) zufällig zwischen stabilen Zuständen wechselt und in seiner spektralen Zusammensetzung seiner Geräuschentwicklung grundsätzlich einer 1/f Verteilung folgen wird. Das entstehende Signal gleicht damit dem einer natürlichen Quelle: es ist variierend in Frequenzverteilung und Pegel, es ist frei von spektralen Peaks, Notches (Einbrüchen) und steilflankigen Abrissen; bei langsamer Fahrt reduziert sich der Gesamtpegel (Aspekt der Intermittenz) merklich und nach Ende der Fahrt fällt die Belastung ganz weg und Regeneration des Ohrs kann einsetzen.
Dementsprechend harmlos wirkt diese Form einer Infraschallbelastung dann auch für den normalen Autofahrer, da sie quasi ein „natürliches“ IS Signal nachbildet.
Wer also argumentiert, aller Infraschall müsse grundsätzlich harmlos sein, nur weil wir häufig Formen seiner „natürlichen“ Form oder kurzzeitig IS/LFN aus einer technischen Quelle ausgesetzt sind, der lässt die erforderliche Fähigkeit oder Bereitschaft zur Differenzierung im Sinne des heute verfügbaren Wissensstandes zu den physiologischen Wirkungen tieffrequenter Schalle vermissen.
6.0 Wahrnehmbarkeit ist keine Voraussetzung für physiologische Wirkung
Die zu beobachtenden Effekte von Schallbelastungen lassen sich klassisch zunächst in zwei Hauptkategorien unterteilen: in aurale (das Ohr betreffende) und in sog. non-aurale (extra-aurale) Effekte. Bei den non-auralen Effekten kann man bei den im Wohnumfeld typischen Immissionspegeln sowohl die Folgen von Schlafstörungen, Störungen der Konzentration und Leistungsfähigkeit als auch unmittelbare Auswirkungen auf zentrale (das Gehirn betreffende) Prozesse beobachten. Eine weitere wichtige Gruppe von non-auralen Wirkungen resultiert aus den Effekten auf das autonome Nervensystem und auf endokrine Prozesse. Aufgrund epidemiologischer Untersuchungen gilt als gesichert, dass Lärmbelastung das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen wie Bluthochdruck, koronarer Herzerkrankung, Herzversagen, Herzinfarkt und Schlaganfall signifikant erhöht.
Anders als die Schall (Lärm)-Wirkungen mittlerer und hoher Frequenzen, die quasi sofort mit Einsetzen der Belastung bewusst wahrnehmbar und deren non-auralen Effekte meist als eine Folge von Stressreaktionen eingestuft werden, wirken tieffrequente Schalle häufig ohne dass eine bewusste Wahrnehmung oder ein subjektives Störempfinden erforderlich sind. Das liegt vor allem daran, dass Schall tiefer Frequenzen erst bei sehr hohen Pegeln als vergleichsweise „laut“ wahrgenommen wird – oft sind das dann Pegel die sehr schnell zu permanenten Schäden des Innenohrs, zu Kinetosen (Schwindel), Sopite Syndrome (Vorstufe der Kinetose) oder zu Störungen kardiovaskulärer Regelprozesse führen. Fallen tieffrequente Schallanteile in einem Geräusch in den Bereich der Wahrnehmungsschwelle oder darunter, so können sich jedoch die gleichen gesundheitlichen Effekte wie sie für hohe Pegel bekannt sind einstellen, sofern die Belastung entweder mehrfach wiederholt auftritt oder über einen längeren Zeitraum hinweg andauert.
Dass eine Wahrnehmbarkeit die Voraussetzung für die biologische Wirksamkeit einer Noxe darstellt, trifft weder bei kurzwelligem Licht (UV-Strahlung), bei natürlichen Giften (Botulinumtoxin), synthetischen Schadstoffen (Bisphenole), radioaktiver Strahlung (Radon) oder Ganzkörpervibration (WBV = whole body vibration) zu. Genauso wenig ist daher eine auditive Wahrnehmbarkeit eine generelle Voraussetzung für eine Schädigungswirkung von Schallen.
So ist beispielsweise eine medizinisch relevante Wirksamkeit von Infraschall auf die kardiovaskuläre Regelung beim Menschen durch Laborexperimente bereits in den frühen 80er Jahren belegt worden – auch bei Pegeln, die für eine eindeutige auditive Wahrnehmbarkeit nicht ausreichend sind, womit ein hypothetischer subjektiver „Stress durch Hörwahrnehmung“ als Erklärung für den Effekt ausgeschlossen werden kann.